Teil 02

In einem alten Fabrikgebäude im Hagener Vorort Hohenlimburg hat Stefan einen winzigen Proberaum gemietet, gerade so gross, wie es sein schmales Gehalt als Schaufensterdekorateur beim Kaufhof gestattet. Dort trifft er sich nun mit Schlasse, Bassmann Ralf Teuwen, Drummer Horrible Horn und dem zweiten Gitarristen Piet Wortmann, um einige Nummern des bereits existierenden Repertoires von etwa 30 Minuten Länge auszubrobieren. Schon am ersten Tag zeigt sich, dass die Chemie stimmt. Schlasse brüllt und jodelt so kongenial zur Stakkatogitarre (ein amerikanischer Kritiker wird seinen Stil später als "between panic and anger" beschreiben), dass Stefan Klein bei dem wenige Tage später stattfindenden Konzert beim Stadtteilfest in Hagen-Wehringhausen den in Trenchcoat und Schweisserbrille antretenden neuen Frontmann in einer spontanen Eingebung als "KAI HAVAII, die Sirene aus Übersee" ankündigt. Der Name wird hängen bleiben. Dem verblüfften Schlasse bleibt nichts anderes übrig, als sich zu revanchieren, indem er Stefan ebenso spontan zum KLEINKRIEG macht, was seiner Meinung nach den Gitarrenstil des Autodidakten trefflich auf den Punkt bringt.

"Unser gemeinsames musikalisches Schlüsselerlebnis war sicher "Never Mind The Bollocks" von den Pistols", dann entdeckten wir die Ramones, Vibrators, Clash und all die anderen", erzählt Havaii später, "Mit einem Schlag war klar, dass nun die stickige Ära des Bombast-Rocks zu Ende ging und endlich wieder frische Luft hereinkam. Jeder, der ein paar Akkorde, konnte, konnte auch gute Songs machen, wenn es ihm gelang, das Lebensgefühl seines Milieus auf den Punkt zu bringen. Das ging einher mit einer Abkehr von der trutschig gewordenen Hippie-Kultur und ihrem überlebten Lila-Latzhosen-Appeal. Die Atmosphäre wurde härter, der Blick wieder schärfer und der Ausdruck aggressiver. Bei uns in der Provinz vollzog sich dieser Übergang sicherlich langsamer als anderswo, aber schon unser erster gemeinsamer Auftritt spaltete die Szene: die einen waren verschreckt und abgestossen, die anderen sofort infiziert."

Ein Beispiel für diesen "Kulturkampf" ist die Nummer "Annemarie", eine der ersten Koproduktionen von Havaii und Kleinkrieg. Bekanntlich fordert Havaii darin eine Dame dieses Namens dazu auf, sich unter Anbehaltung ihrer hohen Stiefel gleich hier und jetzt von ihm begatten zu lassen. "Die Hippie-Tanten und -Onkels schrien natürlich Zeter und Mordio, während andere diese Dreistigkeit durchaus zu schätzen wussten."
(Havaii)

Mit Havaiis Einstieg beginnt eine neue kreative Schaffensperiode der Band. In schneller Folge entstehen etliche bekannte Songs. "Es tickt" ist der erste, dann folgen "Hart wie Marmelade", "Annemarie" und "Hurra, hurra, die Schule brennt". Die Tage verbringt man nun im Proberaum, die Abende bevorzugt bei "Rainer am Wilhelmsplatz". In diesem Lokal trifft sich die Hagener Subkultur: Politnasen und Pillenköpfe, Künstler und Kiffer, Schlampen und Schlawiner jedweder Coleur. Damals entsteht auch (nach einem Text des alten Kumpels Rawa Denz) eine punkige Stones-Adaption mit dem Titel "Bei Rainer ist die Hölle los". Auf die erste Platte "Ihre Grössten Erfolge" schafft es die Nummer nicht, dafür wird sie aber dann von eben jenem Rainer in seiner Kneipe so oft gedudelt, bis auch der Anästhesierteste unter den Gästen den Text fehlerfrei mitsingen kann. Die Tonaufnahme dieses legendären Frühwerks gilt leider als verschollen...



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