Teil 11

Hamburg, im Mai 1980: in der "Markthalle" am Hauptbahnhof, ein für seine rüden Punk-Konzerte berühmter und berüchtigter Laden findet sich eine interessant gemischte Klientel ein, um einer Kulturveranstaltung der gerade gegründeten GRÜNEN beizuwohnen: hennarot gefärbte Öko-Frauen und Nicki-Pullover tragende Männergruppen-Softies auf der einen, stachelgürtelbewehrte Hardcore-Punks und Bahnhofssäufer auf der anderen Seite. Dazwischen ein paar sparsam blickende und betont unauffällige Vetreter des Kultur-Establishments. Auf dem Programm steht ein ebenso buntes Potpourri aus Hippie-Clowns, Liedermachern, lokalen Bands sowie den "Strassenjungs" aus Frankfurt und ...EXTRABREIT. Das übergreifende, auch von den BREITEN gepflegte Bekenntnis zu "Rock gegen Rechts", das sich gegen das erste Aufkeimen einer rassistischen Neonazi-Szene richtet, führt dazu, dass die Band des öfteren zu solchen Veranstaltungen eingeladen wird.

Die Hundertschaft Punks hat, munitioniert mit Batterien von Bierbechern und eingeschmuggelten Holsten-Dosen, sofort die Lufthoheit vor der Bühne erobert. Hinter den Kampftrinkern befindet sich eine Pufferzone leeren Raums, dann folgt die Fraktion der Latzhosenträger. Ganz hinten stehen vereinzelt oder im Tandem die melancholischen Kulturprofis sowie ein paar Journalisten, die sich verstohlen Notizen machen.

Vor seinem ersten Gig mit EXTRABREIT sitzt Carlo Karges im Backstagebereich und versucht, mittels Unplugged-Übungen auf der Gitarre, seine Parts nochmal zu memorieren. Es dauert noch eine Weile bis zum Auftritt und alle haben es sich hinten, soweit möglich, gemütlich gemacht. Halt - nicht alle, denn einen haben die Jungs schon seit 2 Stunden nicht mehr gesehen: Horrible Horn.
Der hat sich am Bierstand mit dem Gitarristen der "Strassenjungs", für viele die erste deutsche Punkband (schon 1977 veröffentlichten sie ein entsprechendes Album) angefreundet. Die neue westfälisch-hessische Verbundenheit ist bereits mit etlichen Bieren und einigen Joints besiegelt worden, als Horns neuem Kumpel die jungfräuliche Flasche Jack Daniel‘s einfällt, die er im Bandbus gebunkert hat.

Schon bald wogt die Dreifaltigkeit aus zwei Musikern und einer Flasche Arm in Arm durch die Menge. Nachdem der Pulle in kürzester Zeit der Garaus gemacht ist, schlingert Horn gerade noch rechtzeitig zum Auftritt durch die Garderobentür. An seinen Ohrringen sind inzwischen links und rechts zwei heliumgefüllte Luftballons befestigt und seine Laune hat den Siedepunkt erreicht, als die BREITEN die Bühne entern. Auch die struppigen Bäckerburschen davor haben sich inzwischen richtig warm gesoffen und bereits einigen der vorher auftretenden Protagonisten den Stinkefinger oder auch den nackten Arsch gezeigt, als EXTRABREIT beginnt.

Zunächst läuft alles ganz gut, hier und da teicheln schon die ersten Pogo-Tänzer herum. Horn legt ein Tempo vor, das einem Teilchenbeschleuniger Ehre machen würde und nicht nur Carlo, der ja noch keinerlei EXTRABREIT-Routine hat, verdreht die Augen bei dem Versuch, dem rasenden Sperling zu folgen. Als Horns Schlagzahl während der zweiten Nummer messbare Werte erreicht, macht sich nur kurz Erleichterung breit. Bald danach beginnt der Beat nämlich einem gemütlichen Foxtrott, wie er bei Tanztee- Vergnügungen so gern gehört wird, zu ähneln, um schliesslich in einen haltlos schwankenden und langsam ersterbenden Balladengroove überzugehen. Trotz der Helium -Unterstützung sinkt der Kopf des Drummers unaufhaltsam seiner Snaredrum entgegen und fällt schliesslich nach einem letzten Aufbäumen in Gestalt einer wirbel-ähnlichen Schlagfolge auf dieselbe. Zuletzt ertönt ein infernalisches Scheppern, hervorgerufen durch das umstürzende Crash-Becken.
Hinter der im sinkenden Boot verzweifelt weiter rudernden Rest-Kapelle tritt nun Stille ein...



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