Teil 57

“In dieser Nacht erfanden wir ein Spiel, zu dem man zwei Teams in PS-starken PKWs braucht, eine entsprechende Anzahl von 9-mm-Schreckschussrevolvern plus Pyro-Munition, ein Dorf samt Einwohnern und einen zappeligen Manager, der die meiste Zeit, die das Spektakel dauert, auf dem Rücksitz in Deckung liegt und immer “Ihr seid doch total wahnsinnig!” brüllt.” (Stefan Kleinkrieg)

Vor Beginn des großen Spiels nimmt man im schon bekannten “Bärenbräu” noch etwas Zielwasser zu sich und macht ein wenig Konversation mit dem örtlichen Original, einem fidelen Greis, der gegen ein spendiertes Bier gern seinen Spezialtrick vorführt: Der Alte kann nämlich mit den Fingerkuppen einer Hand gleichzeitig drei flach auf dem Tisch liegende 10-Pfennig-Stücke aufheben, eine Nummer, die ihm bandintern den Kosenamen “Dreigroschen-Opa” eingebracht hat.

Nachdem auch das erledigt ist, kann es losgehen: Zunächst müssen die Besatzungen der beiden Kampfwagen aufgeteilt werden: Hunter, Public und Rolf besteigen Publics neu erworbenen Retro-Daimler und Kai, Stefan und JAH den Mietwagen des Managers, der sich, vielleicht auch in Verkennung der Entschlossenheit der Protagonisten, in leichtsinniger Laune der Party angeschlossen hat.
Dann begeben sich beide Parteien zu entgegengesetzten Ortsausgängen des Fleckens. Dort werden Waffen und Munition vorbereitet. Stefan hat sich im “Bärenbräu” vom nichtsahnenden Wirt noch einen “Underberg-Gürtel” besorgt, in dessen Lederschlaufen sonst die Magenbitter-Flaschen stecken, der aber auch hervorragend für die Leuchtspur-Patronen geeignet ist.

Als sich die beiden Limousinen mit abgeblendeten Scheinwerfern zur verabredeten Zeit gleichzeitig in Bewegung setzen, erscheint gerade die Mondscheibe über den schwarzen Wipfeln der umliegenden Wälder. Das ringförmig angelegte Dorf bietet mit seinen kleinen Gassen und den zwei größeren Umgehungsstraßen bis hin zu den Wegen, die dem land- und forstwirtschaftlichen Verkehr vorbehalten sind, viele gute Möglichkeiten, einander aufzulauern, sich den Weg abzuschneiden oder auszuweichen, je nach Taktik und Spielphilosophie.
Noch liegt Hiltpoltstein in relativer Stille, anderweitigen Autoverkehr gibt es um diese Zeit praktisch nicht und so besteht die erste Phase des Matches darin, das Motorengeräusch der Gegenpartei zu orten. Mit den Waffen im Anschlag und flach atmend versucht man die an- und abschwellenden Geräusche zu interpretieren. Man umkreist sich – füreinander unsichtbar.
Nach etwa einer Viertelstunde kommt es dann zur ersten, überraschenden Begegnung. Nachdem Kleinkrieg plötzlich gewendet hat und in die entgegengesetzte Richtung prescht, hat man auf der Höhe der “Metzgerei Seibel” auf einmal Sichtkontakt. Beide Fahrzeuge bremsen abrupt, die Seitenscheiben werden heruntergekurbelt und das Inferno bricht los. Der Druck der Schreckschußpistolen treibt die Pyro-Munition mühelos bis zu etwa 30 Meter weit. Wenn die Patronen dann auf einen Gegenstand aufprallen, zerplatzen sie in einem wahrhaft spektakulären Funkenregen.
Man zielt auf die Windschutzscheibe des Gegners, nur solche Treffer sollen gezählt werden. Mündungsblitze, Schußlärm und die explodierenden Pyros verbinden sich zu
einem Feuerwerk der rasantesten Art. Aus allen Rohren ballernd versuchen Kai und Stefan den Gefechtslärm zu überschreien, um den auf dem Rücksitz in embryonaler Stellung zusammgekauerten JAH zu bewegen, wenigstens die Trefferliste zu führen – ohne viel Erfolg. Und tatsächlich ist die Sache nicht komplett ungefährlich. Sollte nämlich einmal eine Pyro-Patrone den Weg in eins der geöffneten Seitenfenster finden, muss man mit angesengten Koteletten rechnen. So achtet man darauf, sich möglichst frontal zu stellen und tatsächlich kommt es in dieser Beziehung zu keinen Zwischenfällen.

Das erste Feuergefecht dauert etwa 90 Sekunden, als die Metzgersfamilie Seibel, so unsanft aus dem Schlaf gerissen, in heller Panik durch die Rolladen-Ritzen starrt, um die Ursache des Infernos zu orten. Überall in der Straße gehen nun Lichter an, zitternde Hände lüften Gardinen. Weiter oben öffnet sich plötzlich eine Haustür und der ca. 8jährige Sohn des Hauses glotzt mit aufgerissenen Augen auf die Szene, als hinter ihm im Unterrock seine Mutter erscheint und den Knaben unter Ausstoßung spitzer Schreie ins Innere zurückreißt.

“Klar, die dachten, die Russen wären da...” (Rolf Möller)

So schnell wie er begann, ist der Spuk dann vorbei. Mit quietschenden Reifen entfernen sich die beiden Limousinen in entgegengesetzter Richtung vom Ort des Geschehens. Aber die Nacht hat ja gerade erst begonnen...



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