Nach der Rückkehr von diesem Wien-Trip, der wie gewohnt auch für interessante amouröse Verwicklungen gesorgt hat, begeht man zunächst Stefans 27. Geburtstag bei einer rauschenden Party in dem Bungalow, den Kleinkrieg erst kürzlich mit seiner Lebensgefährtin gemietet hat. Auch Havaiis neueste Flamme, ein Münchner Fotomodell, das der Frontmann im U4 in Wien kennengelernt hat, ist mit von der Partie. Silvester wird schließlich auf Hunters Landwohnsitz zelebriert. Auf mehreren Etagen des kommoden Anwesens tummeln sich illustre Gäste von nah und fern. Auch Michael Oplesch, EXTRABREITS neuer Metronome-Ansprechpartner, ist in seinem roten Camaro angereist und steht etwas verschüchtert mit seinem Glas in einer Ecke*. Fünf Tage später beginnen in der Parkhalle in Iserlohn unweit von Hagentown die Proben zur Rückkehr der phantastischen 5!-Tour, die EXTRABREIT bei insgesamt 33 Konzerten in die größten Hallen Westdeutschlands sowie Wien und Zürich führen soll. Mit nie dagewesenem Aufwand will sich die Band nun inszenieren: Zum ersten Mal sollen auf deutschen Konzertbühnen zwei große Video-Leinwände zum Einsatz kommen. Dort werden die neuen Songs in Film-Collagen kommentiert und illustriert, ein besonders ausgeklügeltes Lichtsystem ermöglicht die störungsfreie Projektion. Kleinkrieg gibt mit seiner Gitarre bei Superhelden Feuerstöße auf Godzilla ab, der riesenhaft über ihm auf der Leinwand auftaucht. Ferner gibt es zwei Catwalks, Laufstege, die links und rechts von der Bühne aus ein Stück ins Publikum reichen. Zwei Live-Kameras liefern nicht nur Großaufnahmen der Musiker beim Konzert, sondern zeigen auch ihren Weg von der Garderobe zur Bühne sowie Backstage-Bilder nach der Show. Als besonderer Gag wird der jedem bundesdeutschen Haushalt bekannte Tagesschau-Sprecher Werner Veigel engagiert, um jede einzelne Show von der Leinwand herab anzukündigen: ...wurde soeben bekannt, dass die Phantastischen 5 in Essen gelandet sind... Zu all dem gibt es auch noch einen Saxophonisten namens Appel, ein sensibler Junge aus dem Ruhrgebiet, den man erst beim Proben kennen gelernt hat und der mit seinem virtuosen Spiel die Songs Duo Infernal und Komm nach Hagen veredeln soll. Der Gute hat noch nie in seinem Leben vor so extatischen Zuschauermassen und auf solchen Bühnen gestanden und ist dementsprechend nervös und überwältigt, was in den ersten Tour-Tagen auch öfters Anlass für Flachsereien ist. Dann lässt der zerstreute Jungmusiker einen geöffneten Brief seiner Freundin auf dem Frühstückstisch liegen. Seine Mitfrühstücker können nicht widerstehen und werfen ein Blick in das Schreiben: Der erste Satz lautete: ...kann ich mir gut vorstellen, wie schrecklich es für Dich sein muss, mit solchen Leuten auf Tour zu sein... Das gab natürlich brüllendes Gelächter, aber wir hatten auch ein schlechtes Gewissen, weil wir ihn vielleicht einmal zu oft auf die Schippe genommen hatten. Er war eben wirklich empfindlich und nachdem uns das nun klar geworden war, benahmen wir uns besser. Appel blühte dann im Laufe der Tour immer mehr auf. (Kai Havaii) ![]() Auch das Motiv des Tourplakats: Werner Veigel kündigt die Breiten an Bei ihrem Outfit hat sich die Band von dem Comic-Poster (siehe Folge 55) inspirieren lassen, das dem Album beiliegt. Kai z.B. hat sich für sein Superhelden-Alter Ego ein Kostüm mit Frage- und Ausrufezeichen gewünscht. Diese Zeichen tauchen nun auch auf seinem Bühnenshirt auf. Wie gewohnt, wird dieses Szenario vom Feuilleton eher mit Unverständnis quittiert. Der Schreiber der Süddeutschen Zeitung entdeckt gar faschistoide Züge. Dass in einem der Video-Sequenzen für Sekunden das Porträt Adolf Hitlers erscheint, ist ihm nicht entgangen und wird in seinem langen Artikel auch erwähnt, zusammen mit dem jungen, schlanken Sänger, der in seiner SS-artigen Uniformmütze als Einpeitscher agiert. Dass Hitler in der Video-Collage zu Superhelden neben Stalin, Mao Tse Tung , Micky Maus, King Kong und anderen Helden und Monstern zu sehen war, schreibt er nicht und rückt die Band so ins Zwielicht rechter Gesinnungen. Solche Absurditäten können aber weder Band und Publikum noch den weniger ignoranten Journalisten den Spaß an der Sache verderben. Unter der Headline Extrabreits wilde Energie erscheint nach dem Ende der Tour in einem Musikmagazin ein langer Artikel, der so schön blumig geschrieben ist, dass hier ausnahmsweise einmal eine längere Passage zitiert werden soll: Alle Videotricks, so teuer und ausgetüftelt sie auch gewesen sein mögen, sind aber nur Zierrat, auf den die Hagener zur Not auch verzichten könnten. Denn ihr Konzert ist wirklich atemberaubend. Nicht , weil man sich über die notengetreue Wiedergabe liebgewonnener Extrabreit-Heuler freuen kann, sondern wegen der wilden, aggressiven Energie, die die Truppe verstrahlt. Wenn man dem ganz im schwarzen Django- (Sein Gebetbuch ist der Colt) Look gekleideten Kleinkrieg zuschaut, wie er mit wütenden, aber hundertstelsekundengenauen Schlägen auf seine Gibson-Gold-Top eindrischt, die er bei solcher Beanspruchung nach so gut wie jeder Nummer neu stimmen lassen muss, läufts einem schon kalt den Rücken runter. Aber nur noch sich selbst, Frau und Kinder in Sicherheit bringen will man, wenn er dann mit düsterem Bartansatz und finsterer Miene im Gesicht mit ein paar schnellen Schritten seinen Laufsteg entlang nach vorn, mitten in die brodelnde Menge, gesteppt kommt, als wolle er den schreienden Fans vorne an der Rampe seinen Cowboy-Stiefel ins Gesicht stecken. Gut, daß Front-Mann Kai, der über die Kondition eines Marathon-Läufers verfügen muss, mit fröhlichem Spruch und seinen Rekord-Sprints auf der Stelle für lockernden Ausgleich sorgt! Die Leute müssten sonst die nach siebzigminütigem superschnellen Extrabreit-Dauerfeuer angestaute Stoßenergie, wie in alten Stones- oder Who-Zeiten, am Konzertsaal-Mobiliar austoben. Keine Frage: Dies ist sicherlich die beste EXTRABREIT-Show aller Zeiten, dennoch gibt es ein Problem: Die Ticketverkäufe bleiben klar hinter den Erwartungen zurück... * Oplesch wird den Weg der BREITEN auch in den Neunzigern noch öfters kreuzen, zunächst als A&R bei der Plattenfirma East/West und dann als erster Geschäftsführer von MTV Deutschland.
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