Teil 22

In der "Sumpfblüte", dem neuen Lokal des schon bekannten Rainer, das in der Bismarckstraße nur ein paar Schritte von der alten Location entfernt ist, befindet sich links neben dem Tresen eine Stahltür, durch die man nicht nur zum Toilettentrakt, sondern um zwei Ecken herum auch in das so genannte "Reggae-Büro" gelangt, das die Band nun für ein Jahr bewohnt.

Dieses heißt ab dem Sommer 1981 deshalb so, weil in der verwinkelten kleinen Butze die bis in Oberlichthöhe reichenden Gewächshausfenster karibische Temperaturen erzeugen und auch, weil man hier am Nachmittag gerne etwas Entspannung bei einem guten Pfeifchen, Bob Marley oder Peter Tosh sucht.

Der erste neue Song, der in diesem Jahr entsteht, ist "Glück & Geld". Stefan hat das typische Gitarrenriff, das dem Marlboro-Thema entlehnt ist, bei einer Session im Proberaum kreiert, Havaii fällt dazu der passende Refrain ein. Der Rest des Textes entsteht in Heimarbeit.
Diese schnörkel- und illusionslose Zustandsbeschreibung bewegt sich ganz im Hier und Jetzt, hat nichts Verspieltes und Verniedlichendes.
21 Jahre später, im Sommer 2002 wird Kai Havaii den Text aus aktuellem Anlass verändern:

Statt "In der Zeitung steht immer dasselbe drin – wir brauchen mehr Benzin und ein freies Berlin" heißt es nun:

"In der Zeitung steht immer dasselbe drin: die `Achse des Bösen‘ will meinen Ruin"

Um den realistischen Charakter noch zu steigern, kommt man aus Anlass der Demo-Aufnahme* auf die Idee, eine im weitesten Sinne zum Thema passende aktuelle Original-Nachricht mit einzuspielen. Hoppe hat eine ARD-Live-Reportage über die Rückkehr der 400 Amerikaner, die sich seit über einem Jahr in iranischer Geiselhaft befunden hatten, mitgetapet. Dieser Sound findet dann auch bei der kommenden Studiosession Verwendung.

Dann folgt "Polizisten". Kai hat den Text spätabends im Büro geschrieben und die Musik entsteht auf der Bühne des "Rockpalast" in Hohenlimburg, der in diesen Tagen als Kino fungiert und den BREITEN einige Tage als Proberaum dient.
Das Typische an "Polizisten" ist seine minimalistische Ausgeklügeltheit. Hier hat wirklich jeder Ton seinen unverzichtbaren und genau dosierten Platz, das Arrangement ist in sich sehr dynamisch, was auch live sehr gut ankommt, wie sich schon bald zeigen wird.

Wieder und wieder wird probiert, bis man am späten Abend soweit ist und die Nummer eine Form hat, die unverwechselbar und über die Jahre im Wesentlichen gleich geblieben ist.

"Abends tauchte Jörg auf und wir spielten ihm brüllend laut "Polizisten" vor. Danach rannte er hektisch zwischen den Stuhlreihen auf und ab, zerrte an seiner New-Wave-Locke und stiess immer wieder hervor:
&Mac226;Das ist es! Jungs, das ist es!!‘" (Kleinkrieg)

Und er hat recht, wie sich im Herbst zeigen wird. "Polizisten" wird EXTRABREITs erster Top-Twenty-Hit.

Und so erzählt Kai die Enstehungsgeschichte des Textes:
"Als mir der Text einfiel, hatte es gerade wieder Strassenschlachten in Berlin gegeben. Es gab damals so einen Spruch "Haut die Bullen platt wie Stullen!". In diese Richtung wollte ich mit dem Lied definitiv nicht, es ging mir darum, die psychologische Spannung deutlich zu machen, was es bedeutet, wenn ein Mensch Staatsautorität verkörpern soll und darum, daß es damals eine ständig wachsende und oft einschüchternde Polizeipräsenz gab."


* Diese Aufnahme wurde damals in Siggi Bemms "Woodhouse Studio" gemacht, das damals aber noch nicht, wie heute, Weltacts beherbergte, sondern in der Tat eine ziemlich windschiefe Holzhütte im Garten seiner Grossmutter war. Bemm eilte aber schon damals der Ruf eines besessenen und unkonventionellen Tonmischers voraus.



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