Teil 30

Die beiden Konzerte im Hagener "Musentempel" sind ausverkauft und Hoppe und die Band haben sich einige Gedanken über die Inszenierung gemacht. Mit den Möglichkeiten der Theaterbühne möchte man auch etwas anfangen.

Das erste neue Element ist ein großes Panzer-Tarnnetz, das Stefan in seiner Armeezeit einem Bundeswehr-Depot entnommen hat und das seitdem in der Garage seiner Eltern auf seinen Einsatz wartet – ganz im Gegensatz übrigens zu dem aus der gleichen Quelle stammenden "Gurtfüller", einer Kiste für MG-Munition, die schon seit den frühen EXTRABREIT-Tagen als Transportbehälter für Gitarrensaiten, Trommelstöcke, Ersatz-Papers und allerlei Kurzwaren dient.

Die überdimensionale Leo II-Reizwäsche wird so über der Bühne montiert, daß sie je nach Lichteinsatz den Großteil der Bühne mit einem Schatten-Tarnmuster überzieht.
In der Tiefe wiederum, auf Linie der Backline, hat man in unterschiedlicher Höhe drei tragbare Fernseher verteilt, die "Schnee" und durchlaufende Balken produzieren. Unter Rolfs Drum-Riser sind mehrere Scheinwerfer postiert, die synchron angeschaltet und ins Publikum gerichtet, das prickelnde Gefühl vermitteln, von Flak-Scheinwerfern erfasst zu sein, ein blendend heller Effekt, den man auch besonders sparsam einsetzen wird: bei der Live-Premiere von "Polizisten", über die das schon erwähnte Blatt MUSIKERTREFF kurz darauf wie von einer Sensation berichtet (zu diesem Zeitpunkt sind es noch gut zwei Monate bis zur Veröffentlichung der Platte).

Das ganze Szenario gibt der Performance einen leicht futuristischen und militanten Charakter, indem sich Assoziationen an Dschungel, permanente elektronische Berieselung, Suchscheinwerfer einstellen.

Zum Finale allerdings hellt sich die Landschaft auf, die unsterblichen Hymnen auf das Bus Baby, den Lottokönig, die brennende Schule, den tollkühnen Flieger und den bedauernswerten Karl-Heinz Jürgen verwandeln Zuschauerraum und Ränge in einen tosenden Hexenkessel.

So ist es auch beim zweiten Konzert im Stadttheater und die Band hat soeben die zweite Zugabe beendet und sich in der Garderobe eingefunden. Noch immer branden Beifall und Sprechchöre auf, wie man im Backstage-Bereich gut hören kann.

Kleinkrieg und Hunter stehen immer noch voll unter Adrenalin und drängen energisch auf eine weitere Zugabe. Havaii lehnt das in schroffer Form ab, seiner Meinung nach hat man genau auf dem Höhepunkt die Bühne verlassen.
Es entbrennt eine heftige Diskussion, ein Wort ergibt das andere und plötzlich fliegen zwischen Havaii und Kleinkrieg die Fäuste. Alles geht sehr schnell und kurz darauf steht Kleinkrieg, von den Roadies weggezerrt, auf dem Parkplatz hinter dem Theater und Havaii sitzt mit angebrochener Nase auf einer der Holzbänke in der Garderobe und versucht, mit einem Handtuch, den Blutfluss unter Kontrolle zu bringen. Dann wird er von seiner Flamme ins Krankenhaus gefahren, wo man sich die Sache kurz ansieht und den Sänger mit zwei Nasenpropfen versorgt.

Hinter der Bühne des Stadttheaters bringt Rolf Möller, der schon damals gegenüber den Medien keinerlei Kontaktscheu hegt, den Vorfall in eine griffige mediale Form, indem er dem Bildreporter des MUSIKERTREFF Havaiis blutbeflecktes T-Shirt präsentiert.

"Nachdem sich denn alle beruhigt hatten, bin ich später noch, wie geplant, in den Laden gegangen, in dem sich alle verabredet hatten. Stefan war natürlich auch da und ich bin, nachdem ich einen doppelten Gin-Tonic getrunken hatte, zu ihm rüber und wir haben uns beide für den Ausraster entschuldigt. Damit war zwischen uns die Sache erledigt, auch wenn das Ganze noch eine Weile Stadtgespräch war und es natürlich auch schadenfrohe Kommentare gab. Denn inzwischen waren wir wer und dann trifft man zwangsläufig auch auf feindselige Gefühle..." (Kai Havaii)



zurück weiter